Ornament & Farbe
ein Katalogbeitrag von Sabine Klement, Mai 2021
zu den Bildern aus Marrakesch
Mit dem hier vorliegenden Katalog ‚Malerei – Ornament & Farbe‘ schließt Georg Gartz unmittelbar an sein ‚Sketchbook 2018 – Marrakesch‘ und die Ausstellung ‚Große Formate 2010-2020‘ im Sommer 2020 an. Auf signifikante Arbeiten – großformatige Gemälde auf Leinwand, teils en plein air aquarellierte Skizzen aber auch grafische Collagen – die unter dem unmittelbaren Eindruck seines Aufenthaltes seines Aufenthaltes in Marrakesch im Jahr 2018 stehen, folgen in nahezu chronologischer Reihenfolge Arbeiten, die die visuellen Eindrücke der Reise sublimieren, zu neu angeeigneten Formen und einem erweiterten visuellen Vokabular führen und schließlich zu anderen thematischen Schwerpunkten finden.
Im Verlaufe einer mit Können, Leidenschaft, Disziplin und dem erforderlichen Quäntchen Fortune Jahrzehnte währenden, aktiven Künstlerbiografie entsteht immer wieder neu die Herausforderung, sich über die eigene Haltung zur Welt klar zu werden. Der Begriff ‚Haltung‘ beinhaltet für den Künstler dabei sowohl einen physisch-räumlichen Aspekt (zum Beispiel der Verortung in einem bestimmten Kulturkreis), als auch eine innere, inhaltliche Komponente im Sinne der eigenen Wahrnehmung und Bewertung der Welt. Aus dem Bewusstsein seiner Haltung zur und in der Welt kann das künstlerisch-schöpferisch tätige Individuum zu aussagekräftigen und relevanten Ausdrucksformen, sprich zu einem relevanten Oeuvre finden – ein Prozess der ständigen Wandlung und Entwicklung, der als Aufgabe, ja Herausforderung den künstlerischen Beruf notwendig begleitet und auch ausmacht, der Mut, Konzentration und Kraft erfordert und an dem man künstlerisch natürlich auch scheitern kann. Eine Selbstvergewisserung über den eigenen künstlerischen Standpunkt kann – wie bei Georg Gartz – erfolgen, indem man sich selbst gezielt oder auch eher mäandernd und intuitiv in dieser Welt bewegt, nämlich indem man reist.
Ein Reisender sammelt Eindrücke, erweitert sein Wissen und seinen Erfahrungshorizont und findet so gut wie immer etwas Neues heraus – über die Welt, sein Selbst und über das veränderliche Verhältnis beider zueinander. Georg Gartz künstlerisches Schaffen entwickelt sich entlang seiner Reisen und der Orte, die er aufsucht und die seine Vorstellungswelt atmosphärisch und ästhetisch beeinflussen. Nicht jede Reise erweist sich notwendigerweise als sinnlich anregende Quelle der Inspiration. Aufzubrechen beinhaltet auch das Risiko an einen Ort zu gelangen, der sich nicht unmittelbar erschließt, vielleicht sogar missfällt – auch aus der hierin liegenden künstlerischen Wachstumsaufgabe kann einem Kunstwerk eine spezifische Aura erwachsen.
Marrakesch hatte Georg Gartz (XXXX) bereits einmal bereist und er konnte seinen erneuten, längeren Arbeitsaufenthalt im Jahr 2018 daher sorgfältig planen. Er wollte herausfinden, was ihn an der Stadt besonders anziehe und fasziniere – das warme Klima mit viel Licht und einer anderen Lebensart? Ihre besondere Dynamik und Vitalität? Er tauchte ein in das faszinierende Leben einer relativ fremden Welt, indem er zunächst vor Ort Szenen, die ihn besonders anzogen, und Porträts in Aquarellfarben locker auf Papier skizzierte. Neben den zahlreichen Menschen, die eine Stadt immer ausmachen, beeindruckte ihn die Architektur Marrakeschs durch ihre charakteristische arabische Schmuckornamentik, die dort den öffentlichen Raum, wie auch Lebens- und Arbeitsumgebungen prägt. Als besonders interessant und ästhetisch reizvoll nahm er auf den Märkten der Altstadt von Marrakesch, der Medina, die geflochtenen Transportkörbe der Händler und die frisch gefärbte, locker gewickelte und zum Trocknen aufgehängte Wolle wahr. Die komplexen, spiraligen Formen fanden sich auch in den kunstvoll geschlungenen Turbanen, die die Männer trugen, wieder.
Die großformatigen Gemälde zeigen von Stadt-, wie von Natur- und Landschaftserlebnissen inspirierte, opulente lebenspralle Räume in teils kühlen, teils erdigen, aber immer intensiven Farben von hoher Vitalität. Mit seinem Aufenthalt in Marrakesch wurden arabische Ornamente als Siebdrucke zum wichtigen formalen Gestaltungselement in Georg Gartz‘ Gemälden und Grafiken. Ihre durchbrochene Form, die den Untergrund nicht vollständig abdeckt, stellt auf ideale Weise eine Verbindung zwischen den verschiedenen Bildebenen gerade seiner großformatigen Arbeiten her und verstärkt so den Eindruck räumlicher Tiefe. Er nutzte sie auch zum Bedrucken und Verfremden seiner Fotografien aus früheren Reisen nach Nordafrika. Mit mehreren übereinandergelegten Schichten von Ornamentfragmenten und halbtransparenten Farbfeldern bedruckt, scheinen die schwarz-weißen Fotomotive aus der Tiefe hervor wie aus der Vergangenheit.
Georg Gartz Bilder erhalten in dieser Phase eine immer anspruchsvollere Dreidimensionalität – malerisch sind die Werke nach wie vor in Schichten angelegt, aber die einzelnen Ebenen sind jeweils voluminöser, liegen nicht mehr flach wie Scheiben aufeinander, und sind durch Ein- und Durchblicke gleichsam miteinander verwoben.
Der zweite visuelle Schlüsselreiz aus Marrakesch, die von Körben, Knäulen und Turbanen inspirierten, verschlungenen Strukturen, erobern sich mit hoher dynamischer Energie einen Platz in der Bildmitte und quellen Betrachtern wie Farbstrudel, mal mehr mal weniger verdichtet, entgegen. Sie sind sowohl der Bildgegenstand, als auch eine den freien Blick in den Bildraum verhüllende, vorgelagerte Struktur – Georg Gartz sagt: „Man kann nicht immer entscheiden, welchen Weg man geht, wenn man einmal angefangen hat – den gestischen oder den architektonischen.“. Für die unmittelbar visuell von Marrakesch beeinflussten Werke gewinnt das Gestische zumindest sehr hohe Präsenz – wie auch auf späteren Grafiken aus dem Jahr 2020/21 und in der Reihe der ‚Schleifenbilder‘.
Mit den Schleifenbildern ging Georg Gartz nach seiner Rückkehr aus Marrakesch der ihn faszinierenden Form des Turbans auf den Grund, indem er sie isolierte und – teilweise – auflöste. Der Turban bedeckt den Kopf und damit den Ort des bewussten Denkens. Das aufgelöste Band wurde mit Beginn des Jahres 2020 zur Chiffre für einen im Raum stehenden Gedanken, der verweilt oder mäandert. Diese mittel- oder kleinformatigen Bilder visualisieren also einen Prozess und erhalten damit eine zeitliche Dimension. Die Reihe, im Katalog mit einer exemplarischen Auswahl vertreten, erforscht in zahlreichen Varianten und nuancierten Farbakkorden sehr gründlich die expressiven Möglichkeiten und die spannungsreiche Ästhetik dieses neu entwickelten formalen ‚Grundelements‘, das die volumenhafte, malerische Form in eine kräftige, dynamische Linie überführt. Zunächst deuten noch orientalische Siebdruckornamente im Bildhintergrund Räumlichkeit an, „Dann“, sagt Georg Gartz „war der Kontext weg. Es ging nicht weiter.“ – so hatten sich die reichen künstlerischen Impulse aus der Marrakesch-Reise im Jahr der Coronapandemie 2020/21 erfüllt und Georg Gartz war auf Inspirationen durch die Arbeit im heimischen Atelier in Köln gewissermaßen: zurückgeworfen.
Erneut entstanden zu Beginn des Jahres 2021 einige Grafiken mit schwarz-weißen Fotografien aus Marrakesch, die dunklere Lichtstimmungen und im Ausdruck gestische, dabei aber zum Teil fest definierte Siebdruck-Strukturen in der Bildmitte zeigen. Die Motive leuchten in dramatischem Helldunkel aus der Tiefe, während sie von den dominierenden Strukturen des Vordergrundes noch ferner in die Vergangenheit gerückt werden.
„Man muss sich aus dem eigenen Arbeiten heraus entwickeln, um interessiert zu bleiben an der eigenen Tätigkeit.“ (Georg Gartz, Mai 2021)
Entwicklung von Inspiration und Motivation aus sich selbst heraus ist ein charakteristisches Erfordernis produktiver künstlerischer Arbeit. Georg Gartz verfügt über eine große Bandbreite an Kenntnissen in künstlerischen Techniken und zeichnet sich durch Neugierde und hohe Innovationskraft bei der Weiterentwicklung seiner Ausdrucksmöglichkeiten aus.
Im Frühjahr 2021 wandte er sich der Arbeit an großen, hochformatigen Leinwänden zu, die den architektonischen Aspekt seiner Werke auch durch scharf umrissene konstruktivistisch anmutende Flächen in den Vordergrund rücken lassen. Es entstand eine Werkgruppe von drei Bildern, die durch komplexe Überlagerungen mehrerer Bildebenen bzw. Farbschichten in teils pastosem, teils lasierendem Auftrag mit dem Schwamm, Siebdruckornamenten und applizierten Schachbrettstrukturen eine unbestimmbar tiefe Räumlichkeit erhielten. Aus der Tiefe dieses Raumes heraus glühen sie in dunklem, satten Orangerot, die Szenerie wirkt roh, industriell – vielleicht ein Hochofen oder eine Schmiede? Diese Arbeiten können als Ausdruck einer absichtsvoll herbeigeführten Transition hin zu einer neuen Werkphase aufgefasst werden, in der alle, in den vorhergegangenen Arbeiten entwickelten und angeeigneten Formen und Techniken künstlerisch zu einer Synthese finden.
Darüber hinaus differenzierte Georg Gartz sein Repertoire gedruckter Strukturen aus. Er entwarf ein formal an die Schleifenbilder anknüpfendes, lockeres Linien-Knäuel für das Siebdruckverfahren und ein Rollornament in Form eines ungleichmäßig-gleichmäßigen Linienrasters, das flächig in frisch aufgetragene Farbschichten hineindrückt werden kann.
Die letzten drei großen Arbeiten des Kataloges zeugen von Georg Gartz‘ gelungener Überprüfung und Weiterentwicklung des eigenen künstlerischen Standpunktes.
Die drei Arbeiten dieser Gruppe sprechen die sinnliche Wahrnehmung unmittelbar positiv durch zahlreiche Details an, ohne aufdringlich oder profan effekthascherisch zu wirken. Die Farbpalette ist fein nuanciert und harmonisch ausgewogen, der Farbeindruck klar und intensiv – dennoch wirkt zwischen den Farbtönen eine Spannung, die das Interesse des Betrachters anspricht, genauer hinzusehen, sich auf das Bild einzulassen. Die partielle Überlagerung mehrerer Bildebenen durch den bereits beschriebenen vielschichtigen, für Georg Gartz charakteristischen, Farbauftrag und der Einsatz sowohl minimal irritierender als auch gerade dadurch integrierender grafischer Elemente erzeugen räumliche Tiefe. Zugleich wird der Bildraum aber von den inneren tektonischen Kräften des Motives zusammengehalten, was trotz der Größe der Leinwände eine intime Stimmung, eine Nähe zum Werk, erzeugt. Die Flächen sind malerisch vollständig ausgestaltet, ohne mit formalen Details überladen zu sein – das letzte der Werke, der Solitär, ist auch in seiner Formensprache besonders ausgewogen. Was wollte man diesen Kompositionen hinzufügen, was wollte man entfernen, um sie besser zu machen?
Georg Gartz stellt allen Rezipient*innen mit diesen neuesten Bildern Welten zur Verfügung, in denen Vieles vorstellbar ist – wohl denjenigen, die sich mit ihnen dauerhaft umgeben können!